Rattenfänger von Hameln

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Der Vollständigkeit halber sei auch dieses Märchen hier genannt, obwohl die Grundzüge der Geschichte wohl nahezu weltweit bekannt sein dürften. Unzählige Umsetzungen der in USA als „Pied Piper Of Hamelin“ bekannten Sage in Buch, Film, Animation, Spielen, Hörbüchern und Live-Aufführungen u.a. in Hameln selbst zeugen von der Popularität des geheimnisvollen Mannes, der zunächst die Ratten und dann die Kinder aus der Stadt führt, als man sich weigert, ihn für seine Dienste zu bezahlen.

Sage (nach den Brüdern Grimm)

Der Sage nach ließ sich im Jahre 1284 zu Hameln ein wunderlicher Mann sehen. Er hatte ein Obergewand aus vielfarbigem, buntem Tuch an und gab sich für einen Rattenfänger aus, indem er versprach, gegen ein gewisses Geld die Stadt von allen Mäusen und Ratten zu befreien. Hameln litt zu dieser Zeit unter einer großen Rattenplage, derer die Stadt selbst nicht Herr wurde, weshalb sie das Angebot des Fremden begrüßte.

Die Bürger sagten ihm seinen Lohn zu, und der Rattenfänger zog seine Pfeife heraus und pfiff eine Melodie. Da kamen die Ratten und Mäuse aus allen Häusern hervorgekrochen und sammelten sich um ihn herum. Als er nun meinte, es sei keine zurückgeblieben, ging er aus der Stadt hinaus in die Weser; der ganze Haufen folgte ihm nach, stürzte ins Wasser und ertrank. Als aber die Bürger sich von ihrer Plage befreit sahen, bereuten sie das Versprechen und sie verweigerten dem Mann den Lohn, sodass er zornig und erbittert wegging.

Die Rückkehr des Rattenfängers

Am 26. Juni, am Tag der Heiligen Johannes und Paulus, kehrte er jedoch zurück in Gestalt eines Jägers mit schrecklichem Angesicht, einem roten, wunderlichen Hut und ließ, während alle Welt in der Kirche versammelt war, seine Pfeife abermals in den Gassen ertönen. Alsbald kamen diesmal nicht Ratten und Mäuse, sondern Kinder, Knaben und Mägdlein vom vierten Jahre an, in großer Anzahl gelaufen. Diese führte er, immer spielend, zum Ostertore hinaus in einen Berg, wo er mit ihnen verschwand.
Nur zwei Kinder kehrten zurück, weil sie sich verspätet hatten; von ihnen war aber das eine blind, sodass es den Ort nicht zeigen konnte, das andere stumm, sodass es nicht erzählen konnte. Ein Knäblein war umgekehrt, um sein Obergewand zu holen, und so dem Unglück entgangen. Einige sagten, die Kinder seien in eine Höhle geführt worden und in Siebenbürgen wieder herausgekommen. Es waren ganze 130 Kinder verschwunden. Man hat sie nie mehr gesehen.

(Gekürzt und sprachlich etwas modernisiert nach: Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Nr. 245, Die Kinder zu Hameln)

Historischer Hintergrund

Die Entstehung und der eventuelle historische Kern der Rattenfängersage lassen sich nicht mit letzter Sicherheit ermitteln. Als gesichert kann jedoch gelten, dass es sich hierbei um zwei ursprünglich selbständige Sagen handelt, die dann miteinander verbunden wurden: Die ursprüngliche Kinderauszugssage wurde wahrscheinlich erst Ende des 16. Jahrhunderts mit einer Rattenvertreibungssage verknüpft. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit, dass beide Sagen(teile) einen historischen Kern aufweisen, unterschiedlich groß. In den mittelalterlichen Ratsbüchern der Stadt Hameln ist zum Beispiel nirgends nachweisbar, dass die Stadt einem Rattenfänger Lohn versprochen oder ausbezahlt hätte. Dass der Teil „Rattenvertreibung“ Legende ist, legen auch wissenschaftliche Untersuchungen nahe zur Frage, ob Ratten auf den Klang einer Flöte reagieren. Dies konnte bei der üblichen Frequenz damals gebräuchlicher Flöten nicht bestätigt werden.

Wohin sind die Kinder verschwunden?

Anders verhält es sich mit dem Sagenteil „Kinderauszug“, wobei unter den vielen Interpretationen die Deutung auf die von Niederdeutschland ausgehende Ostkolonisation die größte Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen kann: Die „Kinder von Hameln“ dürften Hamelner Jungbürger gewesen sein, die von adligen Territorialherren oder Lokatoren zur Siedlung im Osten angeworben wurden.

Insgesamt aber machen die namenskundlichen Belege für die Regionen Prignitz und Uckermark sowie der überlieferte Zeitpunkt des Kinderauszugs – das 13. Jahrhundert war die Blütezeit der deutschen Ostkolonisation – die Auswanderungstheorie sehr wahrscheinlich: Der Rattenfänger mag in Wirklichkeit ein Werber für deutsche Siedler im Osten gewesen sein, und die Legende (Rattenfänger-Sage) will nur den Verlust fast einer ganzen Generation, die wegen Perspektivlosigkeit ihre Heimat verlassen hat, lyrisch umschreiben bzw. als Racheakt eines Geprellten deuten. Vielleicht wollte man sich auch nicht die Blöße geben, dass eine gesamte Generation auswanderte, weil sie in dem damaligen Zunftwesen keine Zukunft sah und lieber gen Osten zog mit der Aussicht, dort einen eigenen Hausstand oder Betrieb aufzubauen.

Text: Wikipedia
Bild: KI

Kohlrabenschwarz präsentiert eine moderne Version des Klassikers: Eine Rattenfängerin lockt mit beschwörender Musik, die sie online veröffentlicht, Jugendliche ins Verderben.